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Zeugnistag Songtext
von Reinhard Mey

Zeugnistag Songtext

Ich denke, ich muss so zwölf Jahre alt gewesen sein
Und wieder einmal war es Zeugnistag
Nur diesmal, dacht ich, bricht das Schulhaus samt Dachgestühl ein
Als meines weiß und hässlich vor mir lag

Dabei war′n meine Hoffnungen keineswegs hoch geschraubt
Ich war ein fauler Hund und obendrein
Höchst eigenwillig, doch trotzdem hätte ich nie geglaubt
So ein totaler Versager zu sein, ein totaler Versager zu sein

So, jetzt ist es passiert, dacht ich mir, jetzt ist alles aus
Nicht einmal eine vier in Religion
Oh Mann, mit diesem Zeugnis kommst du besser nicht nach Haus
Sondern allenfalls zur Fremdenlegion

Ich zeigt es meinen Eltern nicht und unterschrieb für sie
Schön bunt, sah nicht schlecht aus, ohne zu prahl'n
Ich war vielleicht ′ne Niete in Deutsch und Biologie
Dafür konnt ich schon immer ganz gut malen
Dafür konnt ich schon immer ganz gut malen


Der Zauber kam natürlich schon am nächsten Morgen raus
Die Fälschung war wohl doch nicht so geschickt
Der Rektor kam, holte mich schnaubend aus der Klasse raus
So stand ich da, allein, stumm und geknickt

Dann ließ er meine Eltern kommen, lehnte sich zurück
Voll Selbstgerechtigkeit genoss er schon
Die Maulschellen für den Betrüger, das missrat'ne Stück
Diesen Urkundenfälscher, ihren Sohn
Diesen Urkundenfälscher, ihren Sohn

Mein Vater nahm das Zeugnis in die Hand und sah mich an
Und sagte ruhig, was mich anbetrifft
So gibt es nicht die kleinste Spur eines Zweifels daran
Das ist tatsächlich meine Unterschrift

Auch meine Mutter sagte, ja, das sei ihr Namenszug
Gekritzelt zwar, doch müsse man versteh'n
Dass sie vorher zwei große, schwere Einkaufstaschen trug
Dann sagte sie, komm, Junge, lass uns geh′n
Komm Junge, lass uns geh′n

Ich hab noch manches langes Jahr auf Schulbänken verlor'n
Und lernte widerspruchslos vor mich hin
Namen, Tabellen, Theorien von hinten und von vorn
Dass ich dabei nicht ganz verblödet bin


Nur eine Lektion hat sich in den Jahr′n herausgesiebt
Die eine nur aus dem Haufen Ballast
Wie gut es tut, zu wissen, dass dir jemand Zuflucht gibt
Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast
Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast

Ich weiß nicht, ob es Rechtens war, dass meine Eltern mich
Da rausholten, und wo bleibt die Moral?
Die Schlauen diskutier'n, die Besserwisser streiten sich
Ich weiß es nicht, es ist mir auch egal

Ich weiß nur eins, ich wünsche allen Kindern auf der Welt
Und nicht zuletzt natürlich dir, mein Kind
Wenn′s brenzlig wird, wenn's schief geht, wenn die Welt zusammenfällt
Eltern, die aus diesem Holze sind
Eltern, die aus diesem Holz geschnitten sind

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